8. – 13. September 2019

Obwohl Tulum richtig groß ist und Bacalar einen alten Kern hat, erleben wir mit Valladolid zum ersten Mal eine gewachsene Stadt. Wir wohnen zwei Blocks, das sind 5 Minuten zu Fuß, vom zentralen Platz und der „Iglesia de San Servacio“ entfernt im schönen „Casa Valladolid“. Die Geschwindigkeit der Stadt ist angenehm, vergleichsweise wenige Autos befahren die zum Teil breiten Straßen. In einer Hinsicht scheinen sich die kolonialen Städte zu gleichen: um einen zentralen Platz, an dem sowohl die staatliche, als auch die kirchliche Autorität ansässig sind, ordnen sich die Straßen geradlinig im Schachbrettmuster. Heute meist Einbahnstraßen, an den Kreuzungen eine Ampel je Fahrtrichtung, nach denen sich Autos, Motorräder wie Fußgänger richten. Fast an jeder Ecke steht zudem noch ein Polizist, um den Lichtsignalen mit lautem Pfeifen und wedelnden Armen Nachdruck zu verleihen.

Aber es gibt nicht nur Verkehrspolizisten, auf dem Weg zum ersten Abendessen sehen wir ein größeres Aufgebot und einen Polizeihund, der ein gestopptes Taxi untersucht. Eine unglaubliche Präsenz schwarzer Uniformen und Waffen.

Zwei Vegetarier mit Knoblauchunverträglichkeit in Mittelamerika. Wir wussten, das es nicht leicht wird, aber heute folgen wir einem Tipp: Wir sind die ersten in einem schönen Hof, voll mit Pflanzen und „Murales“, Wandbildern, die Themen beackern, mal mehr, mal weniger deutlich, mal mehr mal weniger politisch … Es gibt Gemüselasagne (ganz ohne Nudeln, lecker) und ein mexikanisches Bier.

In Valladolid besuchen wir viele Kirchen, anders als später in Merida finden wir sie alle offen. Mich interessieren die Bilder, in denen sich der Glaube zeigt, die Hierarchien der Figuren auf den Altären, die Darstellung des Leidens Christi und von Maria. Auf dieser Reise trage ich eine Medaille mit einer Maria um den Hals. (Die sogenannte „Wundertätige Medaille“ habe ich von Rakele, einer ganz besonderen Frau im Berliner Devotionalienladen „Ave Maria„- aber das ist eine andere Geschichte). Evangelisch erzogen unterwegs in katholischen Ländern will ich mich auf dieser Reise Maria, dem Marienglauben nähern, vielleicht verstehen, warum die christliche Religion ohne den weiblichen Aspekt nicht vollständig sein kann. Maria ist hier immer in der Gestalt der „Lieben Frau von Guadeloupe„. Ihre Darstellung unterscheidet sich etwas von der auf meiner Medaille. Auch die Marienerscheinung, die ihr zugrunde liegt, ist knapp 300 Jahre älter. Ein Schelm, wer hier einen konkreten Zusammenhang zur Christianisierung der indigenen Bevölkerung sieht. (Narren und Kinder sagen ja bekanntlich die Wahrheit) . Eine Abbildung von ihr ziert fast jedes Haus, Hunderttausende pilgern jedes Jahr zu einer Basilika im Norden von Mexiko Stadt. Sie ist schön, trägt Rot und Blau, die Farben, die auch die Mayas ihren Herrscher-Göttern gaben. Ihr bisher schönstes Bild werden wir in Pisté auf einem Grab finden.

Zwei Stunden verbringen wir in einem ehemaligen Konvent im Stadtteil Sisal. Nachdem Valladolid mit den Steinen und auf den Trümmern einer eroberten Maya-Stadt gebaut worden ist, lebten die überlebenden Indios in Sisal. Das Konvent hatte die Aufgabe zu missionieren, ganz ohne Gewalt und nur das beste für die indigene Bevölkerung versteht sich. Monarchie und Kirche, meist Hand in Hand, Machterhalt das gemeinsame Ziel. Selten ist das anders gewesen – gleich welche Religion, gleich welcher Staat. Umso mehr freut es uns gerade zu lesen, dass die evangelische Kirche in Deutschland ein neues Rettungsboot auf dem Mittelmeer mitfinanziert. Das Konvent enthält ein kleines Museum zur Geschichte von Waffenfunden in den Cenoten des Klosters und ein paar Relikte aus kirchlicher Zeit. Die Gemäuer spielen mit Licht und Schatten, wir spielen mit und entdecken den effeminiertesten Jesus bisher.

Ein echtes Highlight ist unsere Fahrradtour: Wir mieten zwei rote Rolls-Royce zu einem beachtlichen Preis und fahren wie Götter: 7-Gang-Schaltung und echte Bremsen. Zunächst durch Sisal und dann links abgebogen, verlassen wir die Stadt. Sofort ist alles üppig grün. Und sofort liegt Müll an den Rändern des kleines Weges. Er erinnert mich an meine Kindheit in den 1970er Jahren, als ich auf wilden Deponien, die es an drei Stellen am Rand meines Dorfes gab, nach alten Radios und anderer Technik für meine Basteleien suchte.

Unterwegs mit dem Fahrrad

Plötzlich von rechts ein Greif. Im Tiefflug. Nur zehn Meter vor unseren Rädern setzt er zur Landung an. Dort auf der Straße vor uns sitzen schon weitere dreißig, nur wenige fliegen auf, als wir vorbeifahren und lassen von dem toten Hund am Straßenrand. Unsere erste sehr nahe Begegnung mit Geiern, die wir danach noch den ganzen Tag in unterschiedlichen Höhen über unseren Köpfen kreisen sehen.

Post-Geier-Hund

Unser erstes Ziel ist die Hacienda San Lorenzo Oxman. Hier gibt es einen Pool und auch eine wunderschöne Cenote. Eine steile Treppe geht es hinab. Außer uns nur zwei junge Frauen und ein französisches Paar. Bäume haben ihre Wurzeln die gut 20 Meter heruntergelassen, um vom Süßwasser zu trinken. Und es gibt ein Seil, an dem man sich ein paar Meter über die Mitte des Beckens schwingen lassen kann, um dann aus etwa fünf Meter Höhe ins Wasser zu springen. Hier schwimmen rabenschwarze Fische mit Barteln, Welsen gleich, von ganz klein, bis etwas 30 cm Länge. Das Wasser ist herrlich und erfrischt. Denn es ist heiß – und feucht. Wir sind eigentlich immer nass, ob an Land oder im Wasser.

Dann geht es wieder aufs Rad. Der Fahrtwind kühlt angenehm die Haut. So schön verschlafen und entspannt wie unsere Hacienda sind die Cenoten X’Kehén und Sámula nicht: Eine riesige Anlage für Busladungen von Touristen ausgelegt, überall Angestellte, die führen und Händler, die verkaufen wollen. Aber: Niemand da. Ein Bild, das wir häufiger vorfinden werden. Es ist wohl nicht nur Nebensaison – wir sehen auch immer wieder große touristische Anlagen, die nicht fertig gebaut oder einfach geschlossen sind. Vielleicht auch noch Folge der Bankenkrise von 2008, die die Länder Mittelamerikas viel stärker getroffen hat als uns. Beide Cenoten faszinieren vor allen Dingen durch ihre höhlige Erscheinung und das Licht, das nur durch kleine Öffnungen in der Decke fällt.

Eine schmale Straße bringt uns die 10 km zurück nach Valladolid. Wir sind wieder nass. 15 Uhr. Die heißeste Zeit des Tages ist gerade vorbei. Wir suchen ein Café, vergebens, die meisten Cafés scheinen nur am Vormittag geöffnet zu haben. Wir finden das „Pythagoras“, das einem griechischen Expat und seiner mexikanischen Frau gehört. Hier gibt es leckere Säfte und Kaffee.

Das Museum ist der Hammer, ein paar Exponate in einem überdimensionierten alten Bau, spärlich beschriftet und leider nur auf Spanisch. Robert fühlt sich an DDR-Museen erinnert, ich kenne solche Heimatmuseen auch noch aus meinen Kindertagen. Ein Faszinosum, kaum zu fotografieren, ein Kreuz, geschmückt mit Engeln, die Maya-Gesichter haben. Wesentlich moderner kommt das Casa de los Venados daher. Ein amerikanisches Ehepaar hat die Ruine eines sehr großen Kolonialbaus gekauft, restaurieren und renovieren lassen, wohnt jetzt hier und präsentiert seine Sammlung mexikanischer Volkskunst in den privaten Räumen. In der einstündigen Führung erfahren wir mehr über Haus und das Paar, als über die Kunst. Unser Führer ist begeistert und fordert immer wieder dazu auf Fragen zu stellen. Und er kann wirklich jede beantworten. (Zu den vielen Gästewohnungen im Haus und der Großzügigkeit der Eigentümer befragt, ob er denn auch hier schlafen dürfe: „Ja, selbstverständlich, natürlich nicht hier“, aber es gäbe einen Bereich für Angestellte) Ein großartiges Haus, ein großartiges Leben in diesem Haus. Reichtum ist doch geil! Was man alles machen kann, wie leben, wenn man sehr viel Geld hat. Wie viel Selbstwirksamkeit erleben, wie viel Dankbarkeit und Bewunderung erzeugen. Schade nur, dass soviel Geld immer nur durch Umverteilung, durch das Verdienen an der unterschiedlichen Bewertung von Arbeits- und Lebenszeit entstehen kann. Die große Lüge des Kapitalismus, dass (eigene) Arbeit und Leistung jedem die Möglichkeit gäbe, Reichtum zu erwerben. Und so geschickt erzählt, dass wir sie fast alle glauben. Historisch war es nur in den Jahren zwischen 1945 und 1980 so, dass Einkommen aus Arbeit und Kapital in etwa gleich auflagen. Seither und vorher waren es immer nur Kapital, Boden(schätze) und die Ausbeutung von Lohngefällen, die zu Reichtum geführt haben (s.a. Thomas Piketty). Das Wachstum soll es richten: Es soll soviel Geld erzeugen, dass die Reichen immer reicher werden können und die Armen doch genug bekommen, um weiter an den Aufstieg zu glauben und nicht auf die Barrikaden zu gehen. Was aber machen, wenn Wachstum die Erde und das Klima zerstört, wenn Wachstum auf Ausbeutung beruht? Es gefällt mir gar nicht, dass die Zweifel an den Grenzen dieser Ideologie vor allen Dingen zu Nationalismus und Ausgrenzung führen. (-> Lesetipp)

Auch hier in Mexiko sind es wieder die Menschen mit dunkler Haut, die die einfachen Arbeiten machen, das bauen und pflegen, mit dem eine kleine Oberschicht das große Geld verdient.

Wir haben nicht mehr viel vor an diesem Tag, besichtigen im Kulturhaus die Murales, große Wandbilder, die die Geschichte der Stadt erzählen, eine Geschichte, in der Gewalt und Kampf zwischen den Eroberern und den Ureinwohnern immer wieder eine große Rolle spielte. Abends gehen wir noch einmal nach Sisal. Um 21 Uhr soll hier ein Stadtfest beginnen, und es beginnt pünktlich, mit viel Essen natürlich und Musik (nicht immer tonal, aber laut und heftig). Wir wiederholen unsere Lektion in Stadt- und Landesgeschichte in einer Projektion, die die gesamte Fassade des nebenan gelegenen San Bernardino ausfüllt und nehmen Abschied. Die Stadt, ihre Freundlichkeit und vor allem ihr Tempo haben uns sehr gut gefallen.

Links:

https://de.wikipedia.org/wiki/Unsere_Liebe_Frau_von_Guadalupe

Nicht von Menschenhand – NICAN MOPOHUA

Unsere Liebe Frau von Guadalupe, die Schutzpatronin von Mexico

Kastenkrieg – Wikipedia

Convento de San Bernardino de Siena, Valladolid

Baum des Lebens – Wikipedia

Die Neun Unterwelten der Maya « martinakunzemexicoprojekt

Himmel, Erde, Unterwelt – das Weltbild der Maya | SWR Kindernetz

Tag der Toten – Wikipedia

Lesetipp

Phillip Blohm, Was auf dem Spiel steht – mein erstes Buch auf dieser Reise, für knapp 5 Euro bei der Landeszentrale für politische Bildung, gleich neben dem c/o