15. – 18. September 2019
Gegen Mittag kommen wir am Busbahnhof in Mérida an. Unser Hotel ist nur einige Blocks entfernt, direkt hinter dem zentralen Platz, dem Zókalo, den es in jeder kolonialen Stadt in Mexiko gibt. Der Platz ist schon geschmückt, Montag ist Nationalfeiertag.
Unser Hotel ist ein alter, zweistöckiger Bau aus der Kolonialzeit, mit einem offenen Innenhof. Unser Zimmer ist mindestens 6 Meter hoch, die unteren 3 sind weiß gestrichen, darüber die etwa 200 Jahre alte Wandbemalung und die alte Balkendecke. Alle Türen, Schränke und Möbel scheinen das gleiche Alter zu haben. Das Bad, nachträglich eingebaut, wirkt mit seinen 2 Metern Höhe wie ein Fremdkörper. Der Fan geht nicht, die Klimaanlage lässt sich nicht regulieren. Wir sind zunächst geschockt, ein Zimmer mit ähnlichem „Charme“ hatten wir bislang nur einmal, in Hamburg, in Bahnhofsnähe, bezogen. Doch dann freunden wir uns mit dem alten Haus etwas an, Innenhof und die Spuren der Vergangenheit haben wirklich etwas Besonderes.
Mérida ist laut und schnell. Selbst hinter geschlossenem Fenster haben wir das Gefühl, direkt an der Straße zu sitzen. Vor 200 Jahren ist niemand auf die Idee gekommen, eine autogerechte Stadt zu entwerfen, ein Gedanke, der in der BRD ab den 1960er Jahren die Stadtplanung bestimmte und der erst in den letzten Jahren durch die Vorstellung einer menschengerechten Stadt und einer damit verbundenen Diskriminierung des individuellen Autoverkehrs abgelöst wird.
Wir werden mit Mérida wohl keine innige Beziehung entwickeln, so viel Stadt wollen wir gerade nicht. Was schön ist: wir sehen relativ viele gleichgeschlechtliche Paare, die auch ganz selbstverständlich Hand in Hand durch die Straßen gehen. Für den kommenden Tag planen wir daher gleich unseren Tagesausflug nach Uxmal, einer weiteren Ruinenstätte.
Essen klappt dank einiger Biorestaurants, allerdings ist die Suche nicht immer einfach.
Die Unabhängigkeitsfeier
Schon am Nachmittag ist der Bereich um den Zokalo von der Polizei abgesperrt. Meine Kamera löst natürlich im Metalldedektor Alarm aus und daraufhin werden alle Taschen ausführlich gefilzt. Besonderes Interesse hat der Polizist für mein Portemonnaie, schaut in jedes Fach, zählt mein Geld. Auch eine kleine Plastik-Tüte (Regenschutz für meinen Kindl) muss ich erklären. Ich vermute, er sucht Drogen. Dann kann ich weiter.
1810 hat Mexiko nach einem Aufstand seine Unabhängigkeit von Spanien erklärt. Gustavo, den wir bei Kirsten in Tulum kennengelernt haben, hat uns zu Recht darauf hingewiesen, zu hinterfragen, wessen Unabhängigkeit hier gefeiert wird: Die der Spanier und Mestizen, Indigene seien nach wie vor nicht frei. (Die Oberschicht ist hellhäutig: Inhaber und Angestellte eines Geschäftes können wir an der Hautfarbe unterschieden). Und tatsächlich gibt es immer wieder Unabhängigkeitsbestrebungen indigener Gruppen. San Cristobal de las Casas, der Ort, in dem ich gerade schreibe, war 1994 für ein paar Tage von Zapatisten besetzt, bevor die mexikanische Armee den Versuch von Autonomie beendete.
Wir lesen, dass daraufhin Gemeinden, die mit dem Gesamtstaat und der Armee kooperierten, unterschiedliche Grade von Autonomie gewährt wurden, während Rückzugsorte der Zapatisten in den Bergen z.T. von rechten Killerkommandos überfallen worden sind, denen Verbindung zu Armee nachgesagt wird. Die Philosophie, die Werte und Vorstellungen bürgerlicher Organisation der Zapatisten ist übrigens recht interessant (Wikipedia). Sie sind links orientiert, streben gerechte Verteilung von Gütern und freie Bildung an, wollen aber keinen eigenen Staat, sondern gemeindliche Autonomie. Konzepte, die teilweise auch bei uns diskutiert werden. Wer hier aber welchen Anteil an gewalttätigen Auseinandersetzungen hat, können wir nicht beurteilen.
Heute, Sonntag, am Vorabend des Jubiläums, wird auf den Zokalos Mexikos in den Unabhängigkeitstag hinein gefeiert. In Mérida gleicht es einem großen Volksfest. Seitlich des Platzes ist eine Bühne, auf der Schlagermusik gespielt wird und heftig „entertained“ wird, eine TV-Sendung wird tonlos auf Großleinwände übertragen, viele Menschen kommen, dem Anschein nach aus unterschiedlichen Schichten – Mexikaner aller Altersgruppen wollen dabei sein. Die Kinder, egal wie jung, sind auch immer dabei.
4 Minuten.
Wir bleiben knapp zwei Stunden aber fühlen uns fremd, es ist nicht unsere Feier. Wären wir am 3. Oktober vor dem Brandenburger Tor weniger fremd?
Uxmal
Nach Uxmal fahren wir mit dem Bus. Wir sind also nicht die ersten, aber immer noch früh genug. Jede Maya-Ausgrabung, die wir besuchen, hat ein anderes Flaire. Uxmal wirkt wie ein großer Park, Wiese unter den Füßen und immer wieder Schatten spendende Bäume. Auch die Farbe des Steins ist wärmer als in Chichén Itzá. Irgendwie wirken die Bauten hier „weltlicher“. Was wir lesen, spricht allerdings ebenso von Machtanspruch und Gewaltherschaft einer kleinen Oberschicht.
Etwas ganz Besonderes hat die Hauptpyramide zu bieten. Wenn man auf ihrer Rückseite in die Hände klatscht, kommt ein pfeifender Ton zurück, der dem Ruf des heiligen Quetzal gleichen soll. Verantwortlich für diesen Sound ist ein langer Tunnel im Inneren der Pyramide, dessen Öffnung ihr auf den Bildern sehen könnt. Jetzt verstehen wir auch, warum andere Touristen vor jeder Pyramide in die Hände klatschen. Aber nur hier macht es Sinn. Wir sind beeindruckt von der Wissenschaft der Maya, denn all diese Besonderheiten sind berechnet. (Ebenso wie das Erscheinen einer Schlange zu den Tag- und Nachtgleichen in Chitchén Itzá). Eine Hochkultur ohne Computer und fossile Energie. Und doch auch nicht nachhaltig.
Es ist Nebensaison und so ist es mittags noch nicht so voll – aber heiß. Die Händler erwarten kein großes Geschäft und sind nicht aufdringlich, Wir braten gegen 16 Uhr an der Bushaltestelle noch und sind komplett nass. Der Bus ist übervoll. Robert gibt seinen Platz einer Mutter mit Kind und steht (mit 15 anderen) die zweistündige Fahrt nach Hause.
Nix Maya-Museum
Mein Highlight sollte das moderne Museum zur Maya-Kultur werden, das im Norden der Stadt liegt. Aber dienstags ist ZU – ich habe die Wochentage verwechselt, wir hatten die Weiterfahrt bereits organisiert und es gibt es kein Zurück. Dumm gelaufen. Wir haben also einen Tag frei, schlendern durch die Stadt, einen riesigen Markt, auf dem uns besonders eine Tierhandlung zu schaffen macht: In kleinsten, dunklen stinkenden Käfigen sind kleine Hunde, Schweine, Meerschweinchen und Vögel aller Art eingesperrt. Alles bewegt sich. Man mag kaum glauben, dass hier noch Leben ist. Ein Sittich singt sogar.
Gegenüber das Stadtmuseum, ein paar Informationen über die Eroberung und Christianisierung. Ganz oben dann junge Kunst. Das unten verstaubte Museum wirkt plötzlich engagiert. Ein paar verstörende Bilder, desintegrierte Körper, existentiell. Bei einigen Bildern fühle ich mich an unsere Kunst der 1980er Jahre erinnert. Sehr weit komme ich aber nicht (Robert hat schon fertig), denn das Museum schließt. Um 11:30 morgens!
Wiedersehen
Am Abend treffen wir noch einmal Kirsten. Sie hat für ihren Laden in Tulum in Merida eine Kaffeemaschine gekauft. Ein schönes Wiedersehen mit ihr lernen wir noch zwei tolle Restaurants in Mérida kennen, beide in unmittelbarer Nachbarschaft unseres Hotels. Es ist spät, als wir uns verabschieden. Es hat gut getan, die Freundin noch einmal in den Arm zu nehmen.
Links
Uxmal :: Mundo Maya Offizielle Website
Ejército Zapatista de Liberación Nacional – Wikipedia