3. – 5. Oktober 2019

Es ist noch dunkel, als wir Xela im Regen hinter uns lassen. Die von Vulkanen umgebene Stadt liegt auf 2200 Metern Höhe. Unser Kleinbus verlässt das Hochtal und windet sich weiter durch die Berge. Die Sonne steht schon am Himmel, ist aber durch die Wolken nur als blasse Scheibe zu erkennen. Wir kommen immer höher, und plötzlich sind wir über den Wolken. In einer großen Rechtskurve öffnet sich der Blick und wir sehen unseren ersten Vulkan. Klar, von der Sonne beschienen, thront er auf einem meeresbreiten Wolkenteppich.

Mit uns im Bus sitzen vier ältere Damen, die nach Antigua weiterfahren wollen. An einer Tankstelle endet unsere Fahrt zunächst, wir werden aus- und in zwei getrennte Busse wieder eingeladen. Unser kommt etwas später. Zeit sich in der Sonne aufzuwärmen und dem blutjungen Wachmann zuzusehen, der schwer bewaffnet vor der Tankstelle patrouilliert. Er ist vielleicht sechzehn, höchstens achtzehn. (In einem Reiseführer lese ich, dass es in Guatemala dreimal soviel privates Sicherheitspersonal wie Polizisten geben soll) Nach Panajachel sind Robert und ich alleine in einem klapprigen Kleinbus. Es geht immer wieder steil bergab, selbst innerhalb von Ortschaften, in engen Gassen und auf wildem Kopfsteinpflaster – wir hoffen, dass der Fahrer die Straßen und seinen Wagen kennt. Und immer, wenn wir denken, wir sehen den See schon und sind sicher gleich da, geht es wieder weiter steil den Berg herab. Das hört erst auf, als wir auf dem Parkplatz unseres Hotels stehen. Angekommen in Panajachel, immerhin noch 1550 Meter hoch. Das Selina ist ein Hipster-Hotel, alle sind echt cool, es gibt einen Pool, überall Internet und Coworking-Spaces. Das Zimmer ist eines der geräumigsten, das wir auf dieser Reise bislang hatten. Und das Bett ist der Hammer: Zwei auf Zweizwanzig und mit echter Bettdecke. Das Selina ist eine Blase in der Blase, wir bekommen ein besticktes Armbändchen, wie auf teuren OpenAirs, gewebt, nicht bedruckt. „Hier“ könnte überall sein, wo man jung, urban, global, cool, unabhängig und natürlich auch reich genug ist. Und auch wieder sehr „weiß“.

Es ist deutlich wärmer als in Xela, wir genießen die Abendsonne am See, den gigantischen Blick auf drei Vulkane. Robert ist glücklich. Das Wasser ist nicht einmal kalt. Wärmer wird die Ostsee selbst in einem guten Sommer nicht.

Der ganze Tourismus in diesem Ort findet sich an einer zentralen Straße. Geschäfte, Hotels, Restaurants, fliegende Händler. Der Ort ist uns als massiv touristisch beschrieben worden, so dass man schnell wieder weg wolle aber wieder sehen wir nur wenige und „Pana“ macht einen sehr entspannten Eindruck. Es geht gelassen zu, aber die Infrastruktur scheint deutlich überdimensioniert. Seit Wochen bewundern wir immer wieder, mit welch akribischer Sorgfalt Straßenhändler jeden Morgen ihre Ware aus- und abends wieder einpacken. Um dann ein, zwei oder drei Teile zu verkaufen, für die sie zusammen nicht mehr Geld einnehmen, als uns eine Mahlzeit kostet. Heute Abend shoppen auch wir: Robert braucht noch einen wärmeren Pullover. Ich entdecke was Schönes, und weil er mir gefällt, obwohl ich ihn nicht brauche, haben wir (wie so oft) jetzt zwei.

Es knallt oft und unglaublich laut in Panajachel, wir denken an die schlimmsten Böller, für die man in Berlin gut 50 km nach Osten fahren müsste. Auch nachts, als die Straße neben unserem Hotelzimmer sich beruhigt, böllert es weiter. Eine Fiesta, lernen wir später, und am kommenden Tag sehen wir auch etwas davon: Mehrere Gruppen mit je 20 bis 40 Personen in jeweils besonderen Trachten, die mit Musik und Heiligen-Statuen durch die Straßen prozessieren. Vorne ein Mann mit einer Büchse mit furchterregend dickem Lauf, der ab und an auf den Abzug drückt – und dann krachts. Ab und zu erlaubt eine Maske den Blick in ein Gesicht. Freude kann ich trotz der tanzenden Bewegungen nicht erkennen. Die Körper in den Kostümen verraten: alle Generationen machen mit. Die „Marimba“ wird aber überwiegend von alten Männern gespielt. Standarten oder Aufschriften nennen den Namen einer als „Bruderschaft“ bezeichneten Vereinigung, die sich darauf verständigt hat, das Andenken einer oder eines bestimmten Heiligen zu pflegen.

Noch eine andere Zeremonie entdecken wir an diesem Morgen, ohne sie allerdings ganz zu entschlüsseln: am Randes des Dorfes, dort, wo ein kleiner Bach in den See fließt, sitzt eine Gruppe von 30 bis 40 indigenen Menschen aller Altersgruppen an einem kleinen Anleger. Zu hören sind nur eindringliche Worte einer Frau und eines Mannes, immer wieder aus christlichem Kontext. Manche der Sitzenden bewegen rhythmisch den Oberkörper und geben bestätigende Laute ab. Ich meine solchen Sound mal in Filmen über christliche Gemeinschaften mit afrikanischem Background oder über Prediger amerikanischer Freikirchen gesehen zu haben. Mit den wiederholt ausgestoßenen Sätzen legen der Mann, aber überwiegend die Frau auch mal Hände auf, mal hier, mal dort. Jüngere Kinder stehen dabei, schauen zu oder spielen still. Wir sind am See, legt das nahe, dass wir eine Taufe beobachten oder gibt es einen Zusammenhang mit den Prozessionen durch den Ort? Beides? Wir bleiben auf Abstand, wollen nicht stören und sind doch selbst verstört über diese Eindringlichkeit, die Bestimmtheit des Klanges der (Gemeinschaft fordernden) Worte.

Später sitzen wir in einem Kaffee, auch wenn es nicht heiß ist, sind wir froh über den Schatten. (Die Sonne brennt mit UV 12) An unseren Platz kommen die Händler, alte Frauen mit Tüchern, „auch in groß, passend für das Bett“, eine Frau bietet die berühmten Armbändchen, für fünf Quetzales, etwa 60 Cent. Ein kleiner Junge begleitet sie, er hält uns einen Luftballon hin. Ein alter Mann erzählt uns seine Geschichte: Er hat drei kranke Kinder, zwei davon sind im Krankenhaus, die Medizin ist teuer, darum kommt er aus den Bergen in die Stadt. Er hat ein Holzobjekt dabei, dass er verkaufen will. Aber die Geschäfte gehen schlecht. Es sind, wie wir ja auch schon bemerkt haben, einfach keine Touristen da. Sein Spanisch ist einfach und gut zu verstehen. Als er erfährt, dass wir aus Berlin kommen, also sicherlich Englisch besser verstehen, zückt er eine Karte, handgeschrieben, mit durchsichtigem Klebeband gegen Feuchtigkeit geschützt. Auf der steht eine ganz andere Geschichte, aber auch nicht schlecht und auf jeden Fall etwas Geld wert.

Am traurigsten macht die Begegnung mit einem Schuhputzer-Jungen, vielleicht sieben, vielleicht acht, der uns von der Straße sieht und mit leuchtenden Augen auf uns zu kommt. Kurz bevor er uns erreicht, ein kurzer Blick unter unseren Tisch. Das Strahlen stirbt einen schnellen Tod: Wir tragen Flip-Flops. Er schläft dann ein paar Minuten am Nachbartisch. Auch die Frauen mit den Tüchern dürfen bleiben, sich im Schatten ein wenig ausruhen.

Abends sind wir wieder am See, es sind mehr guatemaltekische Touristen als Gringos hier. Das Panorama ist beeindruckend. Wir bleiben noch eine Nacht im Selina, dann wird uns ein Boot, längs über den See, nach San Pedro de Laguna bringen.

Links

Panajachel – Wikipedia

Lago de Atitlán – Wikipedia

Atitlán (Vulkan) – Wikipedia