Früh um acht geht es los. Das erste Mal in einem Kleinbus. Er ist nicht ganz ausgebucht, unsere kleinen Rucksäcke müssen also nicht aufs Dach. Durch das langgestreckte Tal verlassen wir San Cristóbal. Nahe der Stadt, wo es noch eng ist, wird den Hängen mit Baggern Fläche abgetrotzt. Je weiter wir uns von der Stadt entfernen, desto schöner wird die Landschaft: Wälder mit hohen Bäumen, dazwischen schmale Wiesen, darauf Kühe, ab und an ein Hof, seltener ein Dorf. Ein wenig erinnert mich das an den Süden Deutschlands. Bis hoch in die Berge, auf steilen, schmalen Grundstücken wird Mais angebaut. Hier bleiben nach der Ernte die Stengel stehen, auf etwa 1,20 Meter Höhe abgeschnitten, wird die Pflanze nach der Ernte braun.
Vor uns wird deutsch gesprochen. Besser: bayrisch, ein Vater mit seinem Sohn aus München. Drei Wochen haben sie für Mexiko und etwas von Guatemala, erfahren wir bei einer letzten Rast vor der Grenze. Beide wollen heute noch nach Antigua, ein 12-Stundentrip, wenn alles gut geht.
Die Grenze zwischen beiden Ländern macht einen unerwarteten Eindruck. Wir fahren auf engen Gassen, die links und rechts von Geschäften gesäumt sind. Hunderte von Menschen sind unterwegs und jede, jeder zieht, schleppt oder trägt etwas auf dem Kopf. Ein riesiger Basar, in den Geschäften eher Großpackungen und oft nur wenige unterschiedliche Waren je Laden. Alles bunt, viel Plastik. Es geht immer noch bergan, als unser Fahrer den Bus links in einen kleinen Weg lenkt und hinter einem Neubau zum Stehen kommt. Was passiert jetzt? Zu Fuß durch die Berge weiter? Jetzt können wir die Grenze sehen, eine schmale, kahl geschlagene Schneise mit kleinen weißen Hüten in regelmäßigen Abständen schlängelt sich über Berg und Tal. Ein Bild, das wir mit Grenze verbinden können.
Aber dorthin führt uns der Fahrer nicht, wir laufen noch ein Stück weiter die Straße entlang, bis rechter Hand ein kleines Häuschen auftaucht, in dem wir unseren Einreisestempel bekommen. Markt und Handel werden von dem Haus kaum merklich unterbrochen, und auch der weit geöffnete orange-farbene Schlagbaum fällt zwischen dem ganzen quirligen Bunt kaum auf. Straße und Geschäfte gehen dahinter ohne Unterbrechung weiter. Auch der Verkehr ist kaum gebremst: Fußgänger, Tuk-Tuks, Motorräder passieren den Schlagbaum. Langsam. Schnell kann an dem Berg ohnehin niemand fahren. Ein reges Hin und Her. Nur wir müssen erst einmal warten, weil der guatemaltekische Kleinbus, der uns hier übernehmen soll, noch nicht eingetroffen ist. Es ist heiß, die Abgase der anfahrenden Fahrzeuge lassen nichts von der Frische der Berge übrig. Wir warten. Wie lange noch? Vielleicht noch eine halbe Stunde. Alte Männer laufen mit dicken Geldbündeln in der Hand zu jedem Neuankömmling und wollen Geld tauschen. Angeblich braucht man ein paar Quetzales für die Einreise. Aber anders als an der mexikanischen Grenze, wo uns die Ausreise umgerechnet 30 Euro gekostet hat, will man hier kein Geld von uns. 90 Minuten sitzen wir jetzt schon hier. Wir bekommen Kopfschmerzen, trauen uns aber nicht allzu viel zu trinken, weil wir nicht wissen, wann wir nach Abfahrt wieder eine Toilette ansteuern werden.
Als unser „Gegenbus“ nach gut zwei Stunden endlich auftaucht, muss alles ganz schnell gehen. Zunächst werden ein paar große Kisten, die hinter einer Blumensäule nahe des Grenzbüros versteckt waren auf das Dach des Kleinbusses geladen. Unser neuer Fahrer ist rigoros: alles Gepäck muss auf das Dach. Es sieht nach System aus, unsere beiden kleinen Rucksäcke sind als letztes dran – wir werden die ersten sein, die aussteigen. Danach wird alles mit einer festen Plane abgedeckt und verschnürt. Ich habe noch keinen richtigen Plan für „Gepäck auf dem Dach“ und so fahren alle Wertsachen und sogar meine Wasserflasche „Belleetage“. Als es losgeht, haben wir einen blinden Passagier an Bord, er legt sich zwischen die Reihen, als wir den Schlagbaum passieren. „Nur Koffer, wirklich nur Koffer“ sagt unser Fahrer zu einem der Zollbeamten. Dann fahren wir weiter. Hinten lacht man sich ins Fäustchen. Bilder Passagier und die versteckt gelagerten Pakete gehörten zusammen.
Nachdem wir das Grenzdorf verlassen haben, ändert sich das Bild schnell. Es geht jetzt leicht bergab. Wir fahren auf einer schmalen Straße in eine Art Schlucht, nur ein schmaler Fluss ist mit uns in dieser Spalte, wenn auch etwa 30 Meter tiefer unterwegs. Tja und die Straße, mal ist sie da, mal weniger. Riesige Schlaglöcher, 30-50 Zentimeter tief und auch mal mehr als die halbe Straße breit muss unser Fahrer umfahren. Er, um die dreißig, tut das gekonnt und routiniert. An einer Stelle existiert überhaupt keine Straße mehr. Wasser, das überall links und rechts aus dem Gestein fließt, hat sie hinweggespült. Roter Matsch. Aber es geht. Die Ruhe und Routine unseres Fahrers, der die Stecke heute schon einmal in die andere Richtung gefahren hat, beruhigt auch uns. Alles bekannt, alles im Griff.
Inzwischen haben Wolken den Himmel verdunkelt und es fängt an zu regnen. Unser Fahrer trinkt jetzt Redbull und hat sein Seitenfenster geöffnet. Es regnet immer stärker, die Scheibenwischer schaffen es kaum. Dafür scheinen die Straßen etwas besser zu sein als im Grenzgebiet. Acht Stunden sollte unsere Reise dauern. Jetzt sind es schon zehn und wir sind noch immer weit vor Xela (Queztaltenango). Nach Antigua würde er es wohl heute nicht mehr schaffen, sagt er den beiden Deutschen. Von hier aus – sagt Google Maps, wären das auch noch sechs Stunden Weg. Auch die, die nach San Pedro wollen, werden heute kein Boot mehr bekommen und müssen die Nacht in Panajachel bleiben. Wir sind froh, die kürzeste Strecke aller Mitreisenden geplant zu haben.
Maps sagt, dass wir am Abzweig nach Xela vorbei gefahren sind. Dann geht alles ganz schnell. An einer Tankstelle werden wir ausgeladen. Ob wir denn wirklich Gepäck dabei gehabt hätten, fragt unser Fahrer in ziemlich gutem Englisch, und lacht sogar dabei über den eigenen Scherz. Mehr als 12 Stunden muss er jetzt unter diesen Bedingungen den Bus gefahren haben, und er lacht herzlich, entspannt eine Zigarette im Mund. Zum Glück konnte der Bus unter einem Dach halten, denn es schüttet immer noch in Strömen. Die klatschnasse Plane auf dem Dach unter der sich das Gepäck befindet, wird aufgeknotet Der Schwall Wasser, der sich ergießt lässt Schlimmes befürchten, aber die Rucksäcke sind trocken geblieben, trocken genug jedenfalls.
Wir werden mit einer jungen Mexikanerin, die, wie wir hören, hier Freunde besuchen will, in ein Taxi geladen. Ein Taxi in Guatemala hatten wir nach Reiseführer eigentlich vermeiden wollen. Das Auto ist ein edler alter Kasten, bequem, weich warm und trocken. Der Fahrer, ein alter Herr, strahlt eine ähnliche Würde, wie sein Wagen. Vielleicht, so scheint mir, sind sie zusammen alt geworden. In einer Kolonne mit anderen Autos schleichen wir uns über stadtautobahnähnliche Straßen an die Stadt heran. Xela ist mit etwa 800.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt in Guatemala und entsprechend ist der Verkehr um diese Zeit. Der alte Herr unterhält sich mit der jungen Mexikanerin auf dem Vordersitz. Sie sprechen über einfache Dinge, so dass wir mit unserem schlechten Spanisch doch ein wenig verstehen können: es geht ums Essen, den Unterschied in der Frühstückskultur, Tipps für das Kochen und gute Restaurants in der Stadt. Wir erfahren, dass die von Gringos „Chicken Busses“ genannten öffentlichen Verkehrsmittel Guatemalas in Wirklichkeit „Camioneta“ heißen und dass die amerikanische Bezeichnung nicht sehr beliebt ist. Camionetas, ausgediente amerikanische Schulbusse, mit ihren robusten Lastwagen-Chassis, sind unverwüstlich, werden immer wieder repariert, und bilden in Guatemala das Rückgrat der öffentlichen Mobilität.
Nur kurz werden wir angesprochen, wo wir denn hin wollen, Mister „Den möchte man gerne zum Opa haben“ kennt das „Black Cat Hostel“ und wenige Minuten später hält der Wagen vor dessen Tür. So dicht, dass wir beim Aussteigen nicht einmal nass werden.
„Bienvenidos“ begrüßt uns eine tiefe, knorrig knatternde Stimme, die zu einem etwa dreißig-jährigen, langhaarigen Mann mit Brille gehört. Er steht hinter der Bar des Hostels, die gleichzeitig auch Rezeption ist, und überreicht uns die Schlüssel. Mensch und Ambiente erinnern an ein alternatives Jugendzentrum und wir fühlen uns sofort wohl. Es läuft coole Musik, wir trinken ein Bier und lassen die Strapazen der langen Reise hinter uns.
Hallo Guatemala, nicht mal einen Tag kennen wir uns und wir haben schon drei deiner tollen Menschen kennenlernen dürfen.