Wir verlassen Palenque am frühen Morgen. Die direkte Strecke durch die Berge wird von der ADO Busgesellschaft nicht mehr befahren. Es kommt hier immer wieder zu Überfällen. Wer letztendlich dahintersteckt, lässt sich nicht sagen. Im letzten Jahr sind ein deutscher und ein polnischer Radfahrer auf dieser Strecke ermordet worden. Zunächst wurde den Verwandten in der Heimat mitgeteilt, beide wären bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Der deutsche Radfahrer war aber gut vernetzt unter Radfernwanderern und es wurde auf den sozialen Medien viel Wirbel gemacht. Dieser Wirbel sorgte in Mexiko dafür, dass der Generalstaatsanwalt von Chiapas, einem mexikanischen Bundesstaat, ausgetauscht wurde. Erst danach kamen die Ermittlungen in Gang. Der Bruder des deutschen Radfahrers berichtet in einem Blogbeitrag, dass der Pole enthauptet und der Deutsche erschossen worden sei. Warum die staatlichen Stellen in Chiapas versuchten, beide Morde zu vertuschen, ist weiter offen. Vieles ist denkbar: Es gibt hier gewaltbereite Zapatisten, aber auch rechtsgerichtete paramilitärische Gruppen, die eine Art inoffiziellen Krieg gegen die Zapatisten führen, Dörfer überfallen und Menschen ermorden. Von letzteren wird vermutet, dass sie von offiziellen staatlichen Stellen unterstützt werden.

Um es nach diesen schaurigen Zeilen vorweg zu nehmen: wir sind sicher am Ziel angekommen. Statt 213 sind es jetzt 454 Kilometer, wir machen einen weiten Bogen über Villahermosa und Tuxtla nach San Cristóbal. Unser Bus ist ein „paso“ und soll damit eine Stunde schneller sein: 8 Stunden Fahrzeit sind geplant. 11 werden es am Ende gewesen sein. ADO, also ein moderner Reisebus mit Toilette. Wir haben die Plätze 15 und 16 reserviert, in der Mitte des Busses. Es kommt schon mal vor, dass es nach einer langen Fahrt in einem solchen Bus nach Klo riecht – diesmal riecht es aber genau an unserem Platz bestialisch. Und mein Sitz ist ziemlich feucht. Wenn ihr euch jetzt schüttelt, wir haben das auch getan. Das hatten wir bei ADO nicht erwartet. Wir setzen uns eine Reihe weiter und hoffen noch Stunden, dass der Bus nicht ausverkauft ist. (Und Thomas will mal wieder nach Hause …)

Nein, es steigt niemand mehr zu, obwohl wir wiederholt Haltestellen anfahren. Wir passieren die Grenze zwischen Chiapas und Tabasco, die mit Stacheldraht, Sicherheitskorridoren zwischen Betonmauern und vielen bewaffneten Kräften an eine Staatsgrenze erinnert. Man stelle sich so etwas zwischen Bayern und Baden-Württemberg vor … Diese innermexikanische Grenze hat sogar eine Schließzeit: Um 0:00, weiß Google, geht hier nichts mehr. Es ist die Süd-Nord-Richtung, die Strecke auf der Flüchtende und Drogen ihren Weg nehmen. Mitunter gemeinsam: Menschenhandel und Schlepperwesen sollen hier genauso ein Geschäftszweig der organisierten Kriminalität sein wie auf den Routen nach Europa. Unser Umweg führt uns von Chiapas über Tabasco wieder nach Chiapas. 4-5 Mal werden wir auf der Strecke kontrolliert: Polizei und Beamte der mexikanischen Immigrationsbehörde kommen in den Bus und kontrollieren die Papiere. Zwei Mitreisende haben wohl nicht die richtigen. Zunächst eine Frau, die einheimisch aussieht, aber ein Touristenvisum hat. Bei einem späteren Halt ein Mann, der friedlich unter seiner Decke zu schlafen schien, müssen den Bus verlassen. Schicksal ungewiss …

Nach gut der Hälfte der Strecke gibt es eine 20-minütige Pause. Ich bin schon auf der Toilette, als Robert, der gar nicht wollte, ebenfalls aus dem Bus komplementiert wird. Und kurz danach, schwups, ist der Bus weg. Mit unserem Gepäck. Nicht, dass wir wirklich Angst darum gehabt hätten, aber wenn du nicht weißt, warum und was los ist … Jedenfalls müssen wir ziemlich verdattert geguckt haben. Zwei mitreisende Mexikaner kommen unabhängig auf uns zu und bedeuten, dass der Fahrer tanken sei und wiederkomme. Sehr nett und freundlich. Eine Erfahrung, die wir eigentlich immer machen, wenn wir mit Einheimischen Kontakt haben. In diesem Bus sind wir wieder die einzigen Gringos: Es sind schon Touristen unterwegs, die meisten sind aber ebenfalls Mexikaner.

Kurz nachdem wir wieder in Chiapas sind (diesmal ohne stark gesicherten Grenzübergang), überqueren wir ein riesiges Binnengewässer. Es ist das einzige Mal auf dieser Fahrt, dass ich die Kamera zücke. Ein schnelles Bild, dann sind wir schon wieder weiter.

Es dämmert bereits, als wir San Cristóbal de las Casas erreichen. Wir sind froh, uns endlich wieder selbst bewegen zu können und laufen die Strecke zu unserer Unterkunft.