1. – 3. Oktober 2019

Nach Guatemala City ist Xela mit etwa 800.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Guatemalas. Da unser Hotel inmitten der Altstadt, also im Kern gut 200 Jahre alter Kolonialarchitektur liegt, die Straßen entsprechend eng, die Entfernungen gering und die Gebäude niedrig sind, merken wir von dieser Größe nichts.

Es ist kalt und regnet immer wieder. Nicht nur unser Hotel ist leer, auch manche im Reiseführer genannten Restaurants sind geschlossen. Wenn wir dann eines gefunden haben, sind wir die einzigen Gäste oder es macht gerade zu. Und essen ist nicht so preiswert, wie wir es erwartet haben. Auf unserer Fahrt nach Xela hatten wir zunächst vermutet, beim Umrechnen der Kurse einen Fehler gemacht zu haben. Aber es stimmt: Der Liter Benzin (Diesel übrigens auch) kostet umgerechnet 3 Euro. Der Mindestlohn liegt bei etwa 10 Euro am Tag.

Zunächst besichtigen wir den Hauptplatz, aus ehemals drei unabhängigen Plätzen zusammengesetzt. Eine Gruppe älterer Schüler in Schuluniformen und offenbar mit einer gemeinsamen Aufgabe unterwegs, spricht uns an. Man möchte ein Spiel, einen Test oder eine Umfrage mit uns machen. Eine junge Frau zeigt uns einen kleinen weißen und einen kleinen schwarzen Stein in ihrer Hand und beginn auf Spanisch: Aber wir verstehen nicht, nicht genug, am Ende lachen wir alle und gehen auseinander. Gerade noch sind wir vorsichtig gewesen, haben die überall anwesenden Polizisten mit ihren schweren Waffen misstrauisch beäugt. Jetzt lachen wir herzlich gemeinsam und haben Spaß auch am Nicht-Verstehen.

Auf der anderen Seite des Platzes wird Kindern die Polizei nahe gebracht. Tag der Kinder. Kapelle, Rednerpult, wohlweislich überdacht. Auch hier, wie in Mexiko, an den zentralen Plätzen stehen weltliche und kirchliche Macht Seite an Seite: Es ist noch früh. Wenige Menschen beten im Gotteshaus. Als ich am Gehen bin, bemerke ich eine alte Frau, die weinend, betend auf den Knien vom Eingang her zu dem Altar rutscht. Es wird ganz still in mir. Diese echte Not, dieser Wunsch, diese Hoffnung rühren mich zu Tränen. Angefasst.

Wir laufen ein wenig durch die Straßen. Auf der Suche nach einer Agentur, die unsere Weiterfahrt organisiert, kommen wir an einem Markt vorbei. Hier werden Blumen und Gemüse verkauft. Die Tracht der indigenen Frauen ist anders als in San Cristóbal. Und diese Frauen wirken auf mich sehr stolz, nicht abweisend, eher selbstbewusst, würdevoll. Die Straßen, auf denen wir laufen, wirken, als wären sie für Panzer gebaut. Grobe Steine im offenen Verbund, nur zwei Spuren sind etwas fester gesetzt. Da es keine Kanalisation gibt, sind nicht die Ränder, wie bei uns, sondern ist die Mitte der Straße tiefer gelegt. So kann das Wasser besser abfließen.

Bald nach dem Markt kommt eine Kirche. Gleich dahinter liegt ein großer Friedhof. Wir hatten etwas von der deutschen Geschichte des Ortes gelesen. Hier, auf dem Firedhof, kann man etwas davon sehen. Manches Grabmal erinnert uns an die Bergmann Friedhöfe in Berlin, nur dass hier ungleich mehr Engeln die Köpfe fehlen. Nachdem die Spanier, so lesen wir, den Ort aufgegeben hatten, sind die Deutschen gekommen. Diesen sei der etwas düstere, gotische Eindruck des Ortes zu verdanken. Und ja, die rein spanischen Städte atmen mehr Leichtigkeit. Auf den Gräbern finden wir auch deutsche Namen. Viele Leben enden um 1945, aber auf dem einen oder anderen Familiengrab stehen auch Namen von Kindern, die später hier gestorben sind. Die USA, so lesen wir, hätten nach Kriegsende Druck auf das Land ausgeübt, die Deutschen, von denen viele Nazis waren, zu vertreiben. Es ist kurz nach zwölf und es regnet schon wieder. Wir verbringen den Nachmittag im Hotel, angezogen im Bett. Es ist so kalt.

Unser Zimmer ist eigentlich ein Appartement. Zwei Betten, Tisch und Stühle, Kochgelegenheit, Kaffeemaschine und Bad. Das Fenster öffnet sich zum Innenhof. Auf dem Tisch liegt eine aktuelle Ausgabe der alternativen Zeitschrift „EntreMundos“. Es ist Oktober, aber gerade diese Ausgabe widmet sich der LGBTI Community in Guatemala. Zaghafte erste Versuche in einer Großstadt. Seit 9 Jahren gibt es einen kleinen CSD in Xela. Es sind nur wenige, die sich zeigen und doch ist die Gegenwehr der Gesellschaft groß. Es gibt Gesetzesinitiativen für Regelungen wie in Russland, in der jedes Öffentliche Auftreten als Propaganda für Homosexualität bestraft werden kann. Die Formulierungen, die Forderungen erinnern mich an alte Zeiten, Ende der 1970er Jahre, als es auch in der BRD noch keinen Rückhalt für Schwule und Lesben (geschweige denn die ganze Pracht der Vielfalt) gab. Immerhin scheint es kein Eingreifen staatlicher Gewalt gegeben zu haben, wie in unserer unmittelbaren Nachbarschaft, in Polen, Ungarn, Bulgarien, Rumänien und eben Russland, längst üblich ist. Verrückt, dass dieses Thema in einem liegen gelassenen (?) Heft zu uns auf das Zimmer kommt.

Wir buchen die Weiterfahrt im Hotel. Abends treibt der Hunger uns noch einmal raus. Es gibt ein veganes Restaurant, weiß unser Host, nicht weit, aber es schließ gerade als wir kommen. Nebenan gibt es auch vegetarische Optionen. Burger. Robert wählt den Tempeh- ich ein Linsenpatty. Das Essen ist unterirdisch. Das ganze Gegenteil aber der Eifer und die Freundlichkeit, mit der eine Frau und ihr junger Sohn versuchen uns gut zu bewirten. Wir setzen uns in den ersten Stock, dort ist es etwas wärmer. Ein kleines, etwa 2qm großes und 20 cm hohes Holz-Podest steht aufrecht an die Wand geklappt. Boxen stehen davor. Mittwochs gibt es hier Karaoke, steht auf einem Plakat. Der Fernseher wird eingeschaltet, und wir bekommen die Fernbedienung in die Hand gedrückt. Wir lehnen ab,, denn in einer Ecke sitzt ein junger Mann, spielt auf seiner Gitarre und singt melancholische Lieder. Es geht um Liebe. Eine schöne Stimme. Nach einer Weile wünscht er uns guten Appetit und fragt, woher wir kommen. „Aus Berlin“, die ersten Deutschen, die er kennenlernt, „Bienvenidos a Guatemala, Mucho gusto“. Es sind die Menschen hier, die uns beeindrucken.

Links:

Quetzaltenango – Wikipedia

Xela | EntreMundos

Entremundos – Quetzaltenango, Guatemala

EntreMundos | Una revista sobre desarrollo y derechos humanos