25. August – 3. September 2019

Es ist 21 Uhr, als wir bei Kirsten ankommen. Flug und Transfer nach Tulum waren weniger anstrengend als erwartet. Jetzt aber sind wir doch müde und froh unsere Freundin zu treffen und ein Zimmer in einem so schönen Haus zu haben.

Kirsten wohnt mit drei Hunden und einer Katze, Lady Katja, zusammen. Dan ist gerade nicht da, so bekommen wir das große Zimmer.

An den ersten beiden Tagen nimmt Kirsten uns unter ihre Obhut. Wir fahren an den Strand, der immer noch sieben Kilometer entfernt ist und – wie durch ein Wunder – zum ersten Mal seit Monaten fast algenfrei. Sargassum ist eine Meeresalge, die sich in den letzten drei Jahren um das hundertfache vermehrt hat. Ein breites Band durchzieht den Atlantik zwischen Amerika und Afrika. Es gab sie schon immer, auch hier an den karibischen Stränden. Die starke Vermehrung wird einerseits auf die Erwärmung des Meeres (Klimakrise) und den starken Eintrag organischer Nährstoffe durch Erosion nach Abholzung von Regenwald zurückgeführt.

Hier hat sich besonders viel Sargassum gesammelt. Arbeiter und Maschinen sammeln es jeden Morgen vom Strand. Dort, wo es in Haufen liegt, stinkt es unglaublich. Es bedroht den Tourismus. Wir haben Glück. Dort wo wir baden gehen, wird gerade sehr wenig angespült.

Das Wasser ist warm, kaum kälter als die Luft, Badewanne bei 31Grad, und nicht so blau, wie es die Reiseprospekte zeigen, wenn sie Karibik bebildern.

Wir fremdeln ob der Anstrengung, die Hitze, Feuchte und das Fehlen passender Verbindungen im Hirn zum Verstehen dessen, was wir wahrnehmen, für uns bedeuten. Auffallend anders für uns: Es fehlt der Zauber, den wir in Asien erlebt haben, der uns dort die ersten Tage und Wochen getragen hat.

Tulum, ein ehemaliges Maya-Dorf, ist geschäftig, in kurzer Zeit von einer kleinen Siedlung zu einer Touristenhochburg gewachsen – überall wird gebaut. Den Mayas, Nachkommen der Ureinwohner Yucatáns, gehört nur noch ein kleiner Streifen im Ort: Einfache Hütten, vielleicht ein paar Hühner. Aber sie sind es, die hier die einfachen, schlecht bezahlten Arbeiten verrichten, für wenig Geld all das bauen, was Tulum für andere wertvoll und teuer macht.

Tulum, Playa del Carmen und andere Orte der „Riviera Mexikos“ zieht mexikanische und amerikanische Reisende an und Rucksacktouristen, die Spaß haben wollen. Jetzt, im September, ist Nebensaison. Lokale und Straßen sind leer, manche Resorts haben geschlossen und es wird überall gebaut. Es gibt eine recht große Expat-Szene, Menschen, die hier leben wollen, ein Geschäft betreiben oder die hier einen Zugang zu ihrer Spiritualität suchen. Es gibt Yoga-Zentren, überall wird auf gesunde Ernährung geachtet, vegan ist „in“, genau so wie „Detox-Drinks“. Natürlich hat das alles seinen Preis und ist ein gutes Geschäft. Eine Nacht, im zugegebenermaßen wunderschönen Holistika (Transformative Hotel) kostet 120 US-Dollar. Das Essen ist lecker und die Ruhe unter schattenden Bäumen fantastisch. Auf jedem Teller, jeder Wand ein Spruch: „Was du suchst, wird dich finden“, las ich auf dem Klo. Bei „Good vibes only“ kommt mir allerdings die Galle hoch, es erinnert mich allzu sehr an die Intoleranz und Ausgrenzung, die ich in der Osho-Szene in den 1980er Jahren in Berlin und Köln kennengelernt habe. Was es bedeutet, dass die dienenden Angestellten, die Zimmer und Toiletten säubern, hier uniformiert T-Shirts tragen mit der Aufschrift „Dies ist ein guter Tag“, ist klar: Eindeutige soziale Hierarchien werden verwischt, die zahlungskräftige Klientel soll sich gut fühlen, wenn Sie sich hier von Menschen, die einen Bruchteil dessen verdienen, als sie, bedienen lässt. Die alte kapitalistische Mär, das jeder den Platz hat, an dem er sich wohlfühlt, die wieder und wieder erzählt, nicht wahrer wird.

Die Party-People, die hier ab November einen Rave nach dem anderen feiern, sehen wir nicht.

Ich vergleiche viel in diesen ersten Tagen im Versuch meine Gefühle zu verstehen: Was war anders vor neun Jahren – war es anders? Und habe ich die Mühen des Reisens nur vergessen? Ein Gedanke streift die Spiritualität, die hier viel stärker an den Körper gebunden scheint. Anders als im Buddhismus wird mit Pflanzen gearbeitet, die Medizin genannt werden, mit Ritualen, es geht um Reinigung, Genesung. Für den Buddhisten ist der Körper Nebensache, es gilt ihn (gesund) zu erhalten, damit der Geist gut in ihm wohnen kann – mehr nicht. Der Fokus sitzt auf dem Geist und seiner unentwegten Tätigkeit „Welt“ und „Ich“ zu erzeugen. Mir ist das wesentlich näher…

Aber vielleicht habe ich hier einfach noch nichts Echtes gesehen. Den einzigen Moment, an dem ich wahre Spiritualität ahne, verdanke ich Gustavo. Ein Freund von Kirsten, Mexikaner, der seit langer Zeit von den Huchiolen lernt. Wir sind eingeladen, gemeinsam eine wunderschöne Cenote zu besuchen. Es ist sein Lied, dem selbst die mexikanischen „Bademeister“ erstaunt zu lauschen scheinen, eine Prise Tabak, die für uns kaum wahrnehmbar ins Wasser gegeben wird und eine mitgebrachte Blüte, die später zwischen zwei Wurzeln im Wasser schwimmt.

Gustavo, Robert und Kirsten bei der Cenote Corazon del Paraiso

Am dritten Tag „müssen“ wir allein. Und das ist gut für uns. Es stärkt uns, eigene Schritte zu gehen – und zu fahren: Wir leihen uns Räder, suchen eigene Wege durch die Siedlung – was einfach ist, denn die Straßen beruhen auf einem rechtwinkligen Raster und fahren zum Strand. Es ist heiß, die Sonne knallt. Nur im Schatten ist es erträglich. Und wir verbrennen uns die Haut. UV-Index 12. Immer der gleiche Anfänger-Fehler. Zum Glück ist es nicht so schlimm und zwei Tage später alles wieder weg.

Es ist schon toll Kirsten, die selbst seit einem guten halben Jahr im Land lebt, als unsere erste Gastgeberin zu haben. Vieles hätten wir ohne sie nicht kennengelernt. Wir besichtigen ein Haus im Dschungel, in das sie vielleicht ziehen möchte, brausen in ihrem Auto zu wunderschönen Cenoten, besuchen Silvi im Dschungel und schon am nächsten Tag fahren wir gemeinsam nach Cobá.

Links:

Sargassum: Braunalgen bedrohen Ökosysteme und schaffen neue – Spektrum der Wissenschaft

OSHO – Transform Yourself through the Science of

Meditation

Mexiko: In Tulum kann der Tod nur lachen | ZEIT ONLINE

Temazcal – Wikipedia