20. bis 27. Oktober 2019

San Pedro verlassen wir an einem frühen Morgen. Der Abschied fällt etwas schwerer als sonst. Für kurze Zeit ist uns das Dorf am Atítlan See zu einer Heimat geworden. Wir fahren in einem Touristen-Shuttle, einem Kleinbus, der zum Glück nicht ganz voll ist, zunächst um den See um uns dann bei San Marcos in die Höhe zu schrauben. Der Weg aus dem Tal der Vulkane führt steil hinauf, der Fahrer quält den Motor, dessen Hitze wir bald immer deutlicher riechen können. Immer wieder haben wir einen tollen Blick auf den See und die umliegenden Vulkane. Noch einmal passieren wir die Tankstelle, an der wir auf der Fahrt nach Panajachel umgeladen wurden, dann beginnt unsere langsame Abfahrt ins Tal von Antigua.

Am frühen Nachmittag kommen wir in der Stadt an. Die letzte halbe Stunde hatten wir im Schritttempo zurückgelegt. An den Rändern hat Antigua ein Verkehrsproblem. Wir können unser Zimmer gleich beziehen, es liegt im Erdgeschoss eines alten Kolonialbaus, hat drei Betten, einen kleinen Patio und reichlich Platz. Das „Panchoy“ gehört zu einer Kette, die sieben oder acht Hotels in der Stadt besitzt, Kaffee, Tee und gefiltertes Wasser gibt es den ganzen Tag umsonst. Wir inspizieren sofort die Dachterrasse, die unmöbliert ist, aber einen herrlichen Blick auf die umliegenden Gebäude und die drei Vulkane Agua, Acatenango und Fuego bietet.

Antigua gibt sich großstädtisch, es gibt jede Menge auf zahlungskräftige Touristen zugeschnittene Hotels, Restaurants und Geschäfte für Kleidung, Schmuck, Jade und natürlich auch Kaffee. Dem entsprechend gibt es auch jede Menge veganer oder vegetarischer Optionen. Unsere Essens-Highlights hatten wir aber in weniger hippen Lokalen. Eines davon, das sich mit einfacher Küche schon seit Jahren an die Backpacker in den umliegenden Hostels richtet, ist das „Tocu Baru“. Es hat das Flair einer Studentenkneipe und wir fühlen uns sofort wohl. Ein Alleinstellungsmerkmal ist eine große Palette deutscher Biere, sogar ein alkoholfreies Erdinger hätten wir hier trinken können. Tun wir aber nicht, unser guatemaltekischer Bierfavorit heißt „Gallo“. Die Küche im „Tocu Baru“ ist einfach, mit einem indisch-arabischen Einschlag bietet sie aber vegetarische Gerichte, die unseren Geldbeutel schonen. Hier gehen sowohl Einheimische als auch Backpacker essen, trinken ein Bier und plaudern. Denn: hier gibt es bewusst kein WiFi. Die Angestellten tragen es als Spruch auf dem Shirt und es gibt auch handgemalte Schilder an der Wand: „We don’t have WiFi – have a Chat!“

Das beste Abendessen bekommen wir bei „Romeo & Julietta“, einem echten Italiener. Das Lokal ist nicht hip, wirkt mit seinen karierten Decken eher bodenständig traditionell. Wir bleiben an jenem Abend die einzigen Gäste, unverdient, denn sowohl die vegetarische Pizza als auch das Tiramisu sind sensationell. Wo wir gerade beim Essen sind, haken wir die beiden anderen kulinarischen Highlights auch gleich mit ab. Nachmittags haben wir uns das eine oder andere Mal mit den unter amerikanischer Leitung hergestellten Leckereien der Bäckerei „Canela Antigua“ belohnt. Unvergleichlich dichte Kompositionen aus Nüssen, Schokolade, wenig Cerealien und Karamell. Und den besten Kaffee haben wir im „Fat Cat“ getrunken. Aus Kaffee am Lake Atítlan angebaut, Wasser und Milch werden hier alle möglichen Spezialitäten „gebrüht“. Alleine unter 20 verschiedenen Arten Filterkaffee herzustellen konnte man wählen – eine davon übrigens eine blaue Melitta Garnitur aus den 1960er Jahren. Jede einzelne Tasse wurde sorgfältig zubereitet, jedes Mal eine kleine Zeremonie und es hat wirklich Spaß gemacht, den Angestellten und ihrer Freude am eigenen Können zuzusehen.

Mit ganzen sieben Tagen sind wir länger in Antigua geblieben als eigentlich geplant. Der Grund lag in einer Erkältung, die Robert seinem Spanischlehrer abgenommen und die dann ihren natürlichen Weg zu mir gefunden hatte. Ausruhen war also ein wichtiger täglicher Programmpunkt. Dazwischen haben wir unendlich viele Kirchen und Kirchen- oder Convent-Ruinen besucht. Die Stadt ist voll davon und neben der kolonialen Altstadt sind das die touristischen Highlights. Manche werden gerade saniert, manche lassen sich nur von außen besichtigen, in manche kommt man auch hinein und findet drinnen Metall-Schlosser oder auch Bildungseinrichtungen.

Immer wieder waren wir im „Santuario San Francisco el Grande“, einer Kirche mit großem Hof, einem Museum zu Bruder Pedro und den Ruinen des bei einem Erdbeben eingestürzten alten Baus. Diese Kirche ist so populär, das hier fast stündlich Eucharistiefeiern stattfinden. Als wir sie das erste Mal betreten, steht eine lange Schlange vor dem Altar und wir verlassen sie gleich wieder um nicht zu stören. Im Hinausgehen mache ich schnell noch ein Foto von einem Guadeloupe-Bild, eigentlich unerwünscht aber ich hatte mir ja versprochen alle Guadeloupes zu fotografieren, die sich fotografieren lassen Und diese ist mit Abstand die prächtigste. Draußen sehen wir einen alten Mann in Franziskaner-Kleidung ein Auto umrunden. Er hat einen leuchtend violetten 5-Liter-Eimer in der einen Hand, einen großen grünen Kunststoffpinsel in der anderen. Eine Familie steht am Auto, sie wird zunächst mit Wasser aus dem Eimer bespritzt, einmal, zweimal, dreimal. Dann geht der männliche Familienvorstand vorneweg, öffnet alle Türen des Wagens, auch Motorhaube und Kofferraum, und der Alte spritzt murmelnd mit dem Pinsel Wasser in alle Öffnungen. Die Reise geht gegen den Urzeigersinn (im Buddhismus die Richtung des Todes). Die Familie bedankt sich tief, ob Geld fließt, können wir nicht sehen. Mehrfach noch werden wir in den kommenden Tagen solche Segnungen von Autos und deren Insassen verfolgen.

Ein anders Mal sitzen wir in der Kirche, als eine Frau hereinkommt, die Anwesenden bittet in der südlichen Kapelle zusammen zu kommen. Es sind nur etwa 30 Gläubige zur Zeit. Sie beginnt mit Gebeten und ein paar Liedern, die von einem Mann an einer elektrisch verstärkten Gitarre begleitet werden. Bald darauf kommt ein uralter Priester, begleitet von zwei Messdienern im mittleren Alter aus einem Seiteneingang. Der alte Mann muss gestützt werden, als er auf einem kleinen Tritt die Tür des Tabernakel öffnet, Wein und Oblaten herausholt und auf den Altar stellt. Auf dessen anderer Seite kniet er nieder, spricht ein Gebet in ein Mikrofon und verschwindet wieder durch den Seiteneingang. Beide nicht katholisch fragen wir uns, ob wir eben einer „Wandlung“ beigewohnt haben? Anschließend macht die Frau weiter – mit einer Predigt. Gerade dieser Tage hat die katholische Kirche darüber beraten, Frauen und verheirateten Männern Ämter übernehmen zu lassen. Es gibt wohl einfach zu wenig Priester in Lateinamerika. Ledige Männer ohne Kinder würden hier einfach nicht respektiert, werden die Kirchenvertreter aus dem Amazonasgebiet argumentieren. Noch an anderer Stelle haben wir den Eindruck, dass Religion hier hauptsächlich Frauensache ist. Wenn wir Versammlungen sehen, sind 90% der Besucher*innen Frauen, und fast alle Redner. Ich verstehe zu wenig Spanisch um die Vorträge, in die wir hier und dort geraten, zu verstehen, aber der Ton gefällt mir nicht. Es wirkt autoritär indoktrinierend, wie ich es aus Youtube-Videos über amerikanische Freikirchen kenne.

In einer kleinen Kapelle links vom Hauptschiff befindet sich das Grab von „Bruder Pedro“, einem inzwischen heilig gesprochenen Mönch, der von den kanarischen Inseln nach Antigua gekommen ist. Er hat seine ganze Lebensenergie in Bildung für die Kinder und Gesundheit für die Armen gesteckt. Die Menschen, die von weit hierherkommen sind überzeugt, dass er auch heute, knapp 400 Jahre nach seinem Tod, noch Wunder vollbringen und Kranke heilen kann. Im Museum gibt es einen beeindruckenden Raum voll mit Fotos, Dankesbriefen, abgelegten Krücken, Prothesen und so weiter, durch die Menschen ihre Dankbarkeit für Hilfe dokumentieren. Eine perfekte Installation, in der ich mich gerne aufgehalten habe. Leider durfte ich im ganzen Museum kein Foto machen. Ich hätte mich darüber hinweg gesetzt aber wir wurden aus unzähligen Winkeln per Video überwacht. Von einem Franziskanermönch vor drei Monitoren, plötzlich ganz modern. Hier waren wir zusammen mit einer vierköpfigen Familie, eines der Kinder davon offensichtlich behindert. Andächtig aber doch bereit zu lachen, gehen sie die Reihen ehemaliger Prothesen und Dankesbilder ab. Ob sie hier sind, um Hilfe für ihren Sohn zu bekommen? Einen eigenen Raum im Museum hatten die Reliquien aus dem Leben von Bruder Pedro. Tatsächlich fand sich auch seine 400 Jahre alte Unterwäsche ausgestellt.

Draußen in den Ruinen, alles hübsch hergerichtet und gepflegt, treffen wir zwei mitteljunge Damen, die auch um elf Uhr morgens viel Spaß haben. Sie hören, woher wir kommen und wollen unbedingt ein gemeinsames Foto. Beide haben Verbindungen nach Deutschland, eine hat eine deutsche Schule besucht und zählt uns bis zehn vor, die andere hat einen Sohn, der in Berlin studiert. Es ist Wochenende und Antigua hat viel einheimischen Besuch der Oberschicht aus Guatemala Stadt.

Jeden Morgen in der Dämmerung gehen wir auf die Dachterrasse unseres Hotels, um nach den drei Vulkanen zu sehen. Es ist die beste Zeit für klare Sicht, oft schon kurz nach Sonnenaufgang hüllen sich die Vulkane in einen Wolkenmantel. Und jedes Mal ein anderes Bild. Die Stadt ist noch still, diese Stunde ist ein echtes Highlight für uns. Besonders spannend ist Fuego, in relativ kurzen Abständen gibt es Eruptionen, die wir als schwarze oder weiße Wolken über der Spitze aufsteigen sehen. Ein einziges Mal hören wir auch einen lauten Knall. Erst vor gut einem Jahr hat es am Fuego eine so heftige und unerwartete Eruption gegeben, dass die pyroklastischen Wolken ein ganzes Dorf unter sich begraben haben. Nach offiziellen Angaben kamen etwas 350, nach Angaben der Bewohner mehr als tausend Menschen ums Leben. Vom benachbarten Acatenango aus gibt es zu Sonnenaufgang einen wunderbaren Blick auf den Fuego und im Dunkel kann man das Licht seiner glühenden Lava sehen. Die Tour geht über zwei Tage mit einer Übernachtung im Zelt. Da wir beide noch nicht ganz gesund sind und es noch jeden Tag ergiebig regnet, verzichten wir auf den Besuch. Stattdessen besuchen wir in einer kürzeren Tour den ebenfalls noch aktiven Vulkan Pacaya in der Nähe von Guatemala Stadt. Die Fahrt von Antigua dauert eine gute Stunde.

Am Eingang zum Nationalpark bekommt unser Team zwei Führer. Auf- und Abstieg sollen nicht länger als drei Stunden dauern. Unser Guide spricht gutes Englisch, hat ein keckes Lachen und ist ständig zu Scherzen aufgelegt. Obwohl wir heute eher einen wolkenverhangenen Tag haben, ist die Luft herrlich frisch, der Aufstieg mobilisiert meinen Kreislauf und das Gefühl von Krankheit ist für diesen einen Tag wie weggeblasen. Was für ein Wunderwerk unser Körper doch ist. Wir gehen durch Wald, relativ steil aber nicht zu schwierig. Oben erwartet uns ein Plateau aus schwarzer Asche, auf dessen einer Seite wir einen klaren Blick auf Guatemala City haben. Gegenüber erhebt sich der Vulkan weiter in die Höhe, seine Spitze ist von Wolken aus Wasserdampf und Rauch umgeben. Der Pacaya ist der zweit-aktivste Vulkan in Guatemala und hat seit einem heftigen Ausbruch in den 1970er Jahren tägliche Eruptionen. Die Szene ist plötzlich wie auf einer Mondlandschaft. Seltsam unwirklich und faszinierend. Der Boden unter unseren Füßen ist heiß, an einigen Stellen entweicht heißer Wasserdampf. Eine Weile bleiben wir hier, sehen dem Spiel aus schwarz-weiß-grau fasziniert zu, bis wir zum Abstieg aufgefordert werden. Hier, wie in allen Aschefeldern, denke ich wieder an eines meiner Lieblingsgedichte. Eigentlich politisch gemeint entspricht ihm eine ganz reale Erfahrung: Wenn dein Umfeld in Bewegung ist, bewege dich mit. Etwas, was mir hier, physisch, spielend und mit Freude gelingt, bezogen auf die „Bewegungen“ unserer Reise aber schlecht.

Amulett aus dem Gebirge
(gegen äußere und innere Verletzungen)

Ins Geröll

springen

Oder es meiden

Rainer Kunze

Von Antigua aus planen wir unseren Besuch in Tikal. Zwei Nächte wollen wir in einem Hotel nahe der Ausgrabungsstätte wohnen. Weil die Agentin, bei der wir unsere Nachtfahrt buchen, uns ausdrücklich davor warnt in Flores den Transfer auf der Straße zu buchen, wählen wir den Shuttle Service des Hotels. Und das wird sein Gutes haben.

Was fehlt

Am Hauptplatz haben wir die Ausstellung einer Bruderschaft gesehen, deren Ziel es wohl ist eine besondere Christus-Figur, die auch eine besondere Rolle bei den Prozessionen spielt, einzukleiden, zu restaurieren und zu bewahren. In der Ausstellung tauchen an den Ku Kux Klan erinnernde Gewänder auf, nicht in weiß, sondern in violett. Die spitzen Hüte haben wir in einer anderen Ausstellung im Stadtmuseum gesehen, als es um eine Falle ging die indigenen Priestern im 16. Jahrhundert gestellt wurde. Gibt es Zusammenhänge? Unser Spanisch und unser Wissen reicht nicht aus um diese Frage zu beantworten und das Gesehene zu bewerten.

Leicht war hingegen der Besuch in einer Foto(!)ausstellung in einem von Spaniern gestifteten und finanzierten Kulturinstitution. Das eine oder andere anregend. Die Fotografie ist ein gutes Medium zur Selbsterforschung und einer Untersuchung gesellschaftlicher Tatsachen. Ich glaube aber immer mehr, dass die positiven Impulse für Kunst und Gesellschaft, die utopische Kraft zur Zeit von anderen Medien kommen (müssen).

Links:

Antigua

Antigua Guatemala – Wikipedia

Vulkane

Pacaya – Wikipedia

Volcán de Fuego – Wikipedia

Acatenango (Vulkan) – Wikipedia

Volcán de Agua – Wikipedia

Vulkan Fuego in Guatemala

Katastrophe am Merapi auf Java im Jahr 2010 (genau zwei Wochen vorher waren wir noch oben gewesen …)

Fuego (Katastrophe 2018)

Guatemala: Warum am Fuego-Vulkan so viele Menschen starben – SPIEGEL ONLINE

Guatemala: Mehr als 60 Tote bei Vulkanausbruch – Panorama – Süddeutsche.de

Volcán de Fuego – Wikipedia

2018 Volcán de Fuego eruption – Wikipedia

Vulkan Fuego Ausbruch in Guatemala 3.Juni 2018 | Guate Pro | Hilfe für Guatemaltekische Projekte e.V.

Wenn Faszination zu Entsetzen wird: Ausbruch des Fuego in Guatemala

Santorio de San Francisco (Hermano Pedro)

San Francisco (Antigua Guatemala) – Wikipedia

Peter von Betancurt – Wikipedia

Pedro de San José de Betancourt

Iglesia de San Francisco, Antigua Guatemala – Wikipedia

PROCESION JESÚS NAZARENO DEL TEMPLO SAN FRANCISCO EL GRANDE, ANTIGUA GUATEMALA – YouTube

Jesus del Perdon Canal 7 2019 Salida Procesion Antigua Guatemala – YouTube